Insgesamt registrierte die Polizei laut Destatis im Jahr 2023 rund 2,5 Millionen Unfälle und damit 4,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bei 2,2 Millionen Unfällen blieb es bei Sachschäden (plus 5,0 Prozent). Die Zahl der Unfälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden, stieg um 0,4 Prozent auf rund 290.800. Zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 hatte die Polizei noch rund 2,7 Millionen Unfälle registriert, darunter 300.000 mit Personenschaden.

Die jüngste Entwicklung der Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Menschen bewertet der Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR), Manfred Wirsch, als enttäuschend. Er bezieht sich dabei insbesondere auf den Wiederanstieg der Zahl der Getöteten und der Verletzten seit dem Rückgang durch die Covid-Pandemie. Wirsch sieht den Trend in der langfristigen Betrachtung „eher auf einem Plateau angelangt, als dass wir von einer deutlichen Reduktion der Zahlen sprechen können.“

Vor dem Hintergrund plädiert der DVR dringend für einen „spürbaren Verstärker für die Verkehrssicherheit, der bei der größten Gefährdung ansetzt“. Damit meint der Verkehrssicherheitsrat speziell die Unfälle auf Landstraßen. Denn Unfälle, die dort passieren, wie sogenannte Abkommens- und Gegenverkehrsunfälle, verlaufen häufig besonders schwer und machen seit vielen Jahren einen Anteil von etwa 60 Prozent an den Verkehrstoten aus.

Deshalb hält der DVR es für unausweichlich, hier anzusetzen, wenn das vereinbarte Verkehrssicherheitsziel von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erreicht werden soll. Dieses sieht vor, die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland bis 2030 im Vergleich zu 2021 um 40 Prozent zu reduzieren und die Zahl der Schwerverletzten signifikant zu senken.

Als eine zentrale Stellschraube für mehr Sicherheit fordert der DVR, „Geschwindigkeit rauszunehmen“. Konkret meint der Verband damit, auf engen Landstraßen eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h einzuführen. Sofern die baulichen Randbedingungen es zulassen, könne auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Lkw von derzeit 60 km/h auf 80 km/h angepasst werden, meinten die Experten des Verbandes. Dazu stellt Präsident Wirsch fest: „Tempo 80 auf Landstraßen ist eine einfach umzusetzende Maßnahme, die sofort Menschenleben retten würde“.

Nach seiner Aussage soll diesbezüglich fachlich „eine große Einigkeit“ bestehen. Es fehle allerdings der politische Wille, bedauert der DVR-Chef. Doch so groß scheint die von ihm wahrgenommene fachliche Einigkeit nicht zu sein. Denn zum Beispiel der ADAC hält Tempo 80 auf Landstraßen für nicht sinnvoll. Stattdessen sollten die Straßen so ausgebaut werden, dass sie auch bei Tempo 100 sicher sind, meint der Auto-Club. Er hält eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung höchstens punktuell für angebracht, etwa an Unfallschwerpunkten.

Und der niedersächsische Verkehrsminister Olaf Lies scheiterte im Oktober vergangenen Jahres mit einer politischen Forderung nach Tempo 80 auf Landstraßen. Er argumentierte unter anderem mit dem Verweis auf Frankreich, wo eine Verminderung der Höchstgeschwindigkeit von Tempo 90 auf Tempo 80 einen deutlichen Rückgang der Verkehrstoten gebracht habe. Doch der Minister stieß auf den Widerstand des ADAC und der Opposition im Landtag. Ansonsten macht in der Politik derzeit kaum jemand mit nennenswertem Einsatz für Tempo 80 auf Landstraßen von sich reden. Ähnliches gilt – abgesehen von den Grünen – für ein Tempolimit auf Autobahnen.

Dabei hatten sich schon 2015 die Experten des 53. Verkehrsgerichtstags in Goslar für eine einheitliche Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h auf Landstraßen stark gemacht. Begründung: Deutsche Landstraßen seien für Tempo 100 vielfach nicht geeignet. Das sehen auch der DVR und andere Verkehrsverbände so, wie etwa der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Für den VCD stellen die jüngsten Verkehrsunfalldaten ein „Versagen der deutschen Verkehrspolitik“ dar. Denn die Ampel sei von ihrem selbst gesteckten Ziel, der „Vision Zero“, der zufolge es im Verkehr nur noch „Null“ Verletzte und Todesopfer geben soll, weit entfernt. Auch der TÜV-Verband fordert, das Thema Verkehrssicherheit und Unfallverhütung wieder ganz oben auf die Agenda zu setzen.

Ende Februar hat die Verkehrsministerkonferenz nun beschlossen, die Sicherheit auf Landstraßen wieder stärker in den Fokus zu rücken. Zu diesem Zweck soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Vielleicht nimmt sie sich auch des Themas Tempo 80 an…

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