Kommen wir zunächst zum Grundsätzlichen: Defensives Fahren gilt als einer der wesentlichsten Beiträge, um Unfälle im Straßenverkehr zu vermeiden und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Deshalb macht § 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) in seinem ersten Absatz deutlich: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Dabei handelt es sich zunächst „nur“ um eine Feststellung, eine didaktische, also belehrende Aussage. Konkret wird § 1 StVO dann in seinem zweiten Absatz: Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen vermeidbar, behindert oder belästigt wird. Daraus folgt, dass jeder, der dieser Forderung nicht nachkommt, gegen die StVO verstößt. Solche Verstöße können sanktioniert werden, also ein Bußgeld oder Punkte im Flensburger Zentralregister zur Folge haben.

Im Grunde genommen ist in § 1 StVO somit schon die Pflicht zu defensivem Fahren verankert. Denn eine solche Fahrweise zeichnet sich eben insbesondere durch umsichtiges und vorausschauendes Verhalten am Steuer aus. Sie bedeutet auch, dass man im Zweifel nicht auf einem Recht, wie etwa der Vorfahrt, besteht, um gegebenenfalls eine knifflige Situation zu entschärfen. Doch Obacht an dieser Stelle: Defensives Fahren heißt nicht, grundsätzlich auf seine Rechte zu verzichten und anderen immer den Vortritt zu lassen. Mit einer solchen Frage nach einem generellen Rücktritt von eigenen Rechten werden Führerscheinanwärter in der theoretischen Fahrprüfung gern auf eine falsche Fährte gelockt: Defensives Fahren beinhaltet nämlich definitiv nicht, grundsätzlich den eigenen Vorrang zu vernachlässigen.

Versuchen wir, dies an einem Beispiel zu erklären. Wer sich einer Kreuzung oder Einmündung nähert und dabei besonders aufmerksam fährt, etwa indem er oder sie versucht, mögliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer zu antizipieren, um so Gefahrenmomenten vorzubeugen, der fährt defensiv. Das Gegenteil davon ist ein offensiver Autofahrer, der die Vorfahrt anderer nicht beachtet, versucht sich irgendwie vorzudrängen oder rücksichtslos in den Verkehr hineinzuquetschen und dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gar gefährdet. Der defensive Fahrer hingegen verzichtet möglicherweise auf seine Vorfahrt, um einer riskanten Situation vorzubeugen. Das ist gut so. Wer jedoch ständig seine Vorfahrt nicht wahrnimmt, kann durch sein Verhalten andere Verkehrsteilnehmer irritieren und verwirren, mit der Konsequenz, dass auf diese Weise erst Gefahrenmomente heraufbeschworen werden.

Fassen wir zusammen: Im Verkehr nicht immer auf das eigene Recht zu pochen sowie dieses auf Biegen und Brechen durchzusetzen, gilt als defensives Fahren. Mit Fehlern anderer zu rechnen, zählt ebenfalls zu defensivem Fahrverhalten. Sicherheitshalber an jeder Kreuzung anzuhalten ist dagegen kein defensives Fahrverhalten. Denn dies kann andere Verkehrsteilnehmer behindern, missverstanden werden und damit gefährliche Situationen kreieren. Schließlich kann ja nicht davon ausgegangen werden, dass andere Automobilisten damit rechnen, dass übervorsichtige Autofahrer generell auf ihre Vorfahrt verzichten – geschweige denn ist nachzuvollziehen, warum der Fahrer oder die Fahrerin so handelt.

Kurz gesagt: Defensives Fahren verringert Unfallrisiken für alle am Straßenverkehr Beteiligten und kann wesentlich dazu beitragen, selbst entspannter von A nach B zu gelangen. Wer sich jedoch am Steuer unberechenbar übervorsichtig verhält, indem von der StVO eingeräumte Vorrechte nicht nachvollziehbar nicht wahrgenommen werden, trägt mehr zur Verwirrung anderer Verkehrsteilnehmer bei und beschwört so unnötigerweise Unfallrisiken herauf. Immer auf seinen Vortritt zu verzichten, kann somit unterm Strich mehr Probleme verursachen, als seine Rechte achtsam und mit Übersicht wahrzunehmen. Das bedeutet allerdings nicht, immer „gnadenlos“ auf seinem Recht zu bestehen. Denn das ist alles andere als defensives Fahren…

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