Wer soll das bezahlen? Autofahren wird immer teurer

Doch nicht nur die Autobesitzer, auch die Kfz-Versicherer leiden unter enorm gestiegenen Reparaturkosten. Wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) jüngst mitteilte, musste die Branche im Geschäftsjahr 2023 allein wegen gestiegener Preise in den Werkstätten einen versicherungstechnischen Verlust von knapp 3 Milliarden Euro hinnehmen. Oder, wie es GDV-Präsident Norbert Rollinger formulierte: „Jedem eingenommenen Euro standen Ausgaben von 1,10 Euro gegenüber“. Ursache: Immer teurer werdende Ersatzteile und ständig steigende Werkstattkosten. Letztere erhöhten sich nach Angaben des ADAC für Arbeiten an der Mechanik, Elektrik oder der Karosserie im Jahr 2022 auf durchschnittlich 173 Euro pro Stunde. Das entspricht, gemessen am Vorjahr, einem Plus von 5,5 Prozent.

Damit setzt sich eine Entwicklung fort, über die sich die Versicherungsbranche schon länger beklagt. So registriert der GDV seit 2017, dass die Werkstattkosten schneller anziehen als die allgemeine Inflation: Während der Verbraucherpreis-Index von 2017 bis 2022 um rund 14 Prozent stieg, erhöhten die Werkstätten ihre Stundensätze um 28 Prozent, wie der GDV berichtet.

Bei den Versicherern führen die höheren Stundensätze demnach, zusammen mit den ebenfalls steigenden Ersatzteilpreisen nach Unfällen, zu wachsenden Reparaturkosten. Laut GDV-Auswertung kostete 2022 ein Pkw-Sachschaden die Kfz-Haftpflichtversicherer im Durchschnitt rund 3700 Euro, das waren 8,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Zur besseren Einschätzung: 2017 lag dieser Wert noch bei rund 2700 Euro.

Steigende Belastungen für Autofahrer

Diese Entwicklung geht letztlich immer auch zulasten der Autofahrer. Denn entweder müssen sie die hohen Werkstattrechnungen selbst berappen oder für die Versicherungskunden ergeben sich dadurch unterm Strich steigende Beiträge. Grund genug für das GOSLAR INSTITUT Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern e.V. bei seiner alljährlichen Podiumsdiskussion, dem Goslar Diskurs, Experten zu den steigenden Aufwendungen fürs Autofahren zu befragen.

Nicht nur beim Branchen-Primus HUK-COBURG hat sich die sogenannte Schaden-Kosten-Quote 2023 weiter verschlechtert, wie das Vorstandsmitglied der Versicherungsgruppe, Dr. Jörg Rheinländer, beim diesjährigen Goslar Diskurs feststellte. Die gesamte Branche der Kfz-Versicherer muss sich mit den immer weiter wachsenden Aufwendungen für Autoreparaturen auseinandersetzen. Mit der Folge, dass die ersten Unternehmen bereits über tiefrote Zahlen in dem Segment berichteten oder solche ankündigten.

Denn nicht nur die Stundensätze für Kfz-Arbeiten gehen immer weiter nach oben. Auch die Ersatzteile für Kraftfahrzeuge steigen unaufhörlich im Preis. Wie sehr sich die Forderungen für Autoersatzteile in den vergangenen Jahren erhöhten, macht eine aktuelle Datenauswertung des GDV deutlich. Danach setzten die Autohersteller allein zwischen August 2022 und August 2023 die Preise für Ersatzteile im Schnitt um weitere 9,7 Prozent hoch, wie HUK-COBURG-Vorstand Dr. Rheinländer berichtete. Und einige Ersatzteile wurden laut GDV sogar noch teurer. So kostet eine hintere Autotür inzwischen sogar über 13 Prozent mehr als im Vorjahr.

Preise für Ersatzteile verdoppeln sich nahezu

Dabei handelt es sich keineswegs um einen neuen Trend, wie die Experten beim diesjährigen Goslar Diskurs unisono bestätigten. Denn laut GDV erhöhten die Autohersteller ihre Ersatzteilpreise seit 2013 im Schnitt um mehr als 70 Prozent. Kofferraumklappen und hintere Seitenwände legten demnach im genannten Zeitraum um 93 Prozent, Rückleuchten sogar um 97 Prozent im Preis zu. Derweil setzten die Kfz-Versicherer die Beiträge für eine Auto-Haftpflichtversicherung seit 2013 nur um knapp über 7 Prozent herauf.

Diese Diskrepanz rief unterdessen sogar die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf den Plan. Sie mahnte die Kfz-Versicherungen, ihre Tarife deutlicher zu erhöhen als bisher, damit die Unternehmen nicht wegen der sogenannten Schadeninflation, gemeint sind die stärker als die allgemeine Inflation steigenden Reparaturkosten, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Denn auch der Aufsichtsbehörde des Bundes ist nicht entgangen, dass der Reparaturkostenindex in der Kfz-Versicherung immer weiter steigt. Als Konsequenz dieser Entwicklung müssen sich die Kfz-Versicherungskunden wohl auf weitere Preiserhöhungen einstellen.

Als Preistreiber in dem Zusammenhang identifizierte beim aktuellen Goslar Diskurs der Journalist und Publizist Guido Reinking, ehemaliger Chefredakteur der Fachzeitung Automobilwoche und Leiter der Online-Nachrichtenagenturen „Auto-Medienportal.net“ und „Car-Editors.net“, ganz eindeutig die Autohersteller. Sie profitieren von einem Quasi-Monopol, das ihnen die Designschutzrichtlinie 98/71/EG der EU einräumt. Danach ist das Design, also die Erscheinungsform bzw. das Aussehen eines Fahrzeugs, geschützt.

Teurer Designschutz

In Deutschland wird die EU-Richtlinie durch das Designgesetz in nationales Recht umgesetzt. Infolgedessen dürfen bei der Reparatur eines Unfalls, selbst eines scheinbar geringfügigen Blechschadens nach einem „Parkrempler“, nur teure Original-Ersatzteile verwendet werden, weil der Designschutz alle sichtbaren Karosserieteile wie Kotflügel, Motorhauben, Außenspiegel, Scheinwerfer, Leuchten oder Türen umfasst – also alle karosserieintegrierten Ersatzteile. Und die Preise dieser für eine Reparatur unerlässlichen Teile haben die Autohersteller kontinuierlich erhöht, unnötig verteuert und so die Reparaturkosten unvertretbar in die Höhe getrieben, wie Branchenkenner kritisieren.

Dies wollte Prof. Dr. Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts Center of Automotive Management (CAM), beim Goslar Diskurs allerdings so nicht stehen lassen. Der Marktbeobachter verwies darauf, dass moderne Kraftfahrzeuge wesentlich komplexer geworden seien und über immer mehr technische Assistenten verfügten als früher. Dies mache das Autofahren sicherer und komfortabler, habe aber eben auch zur Folge, dass bereits bei scheinbar geringfügigen Unfallschäden vielfach auch elektronische Bauteile, wie etwa Kameras und Sensoren, beschädigt würden, stellte Prof. Bratzel fest. Auch deshalb gingen die Ersatzteilkosten in die Höhe. Dem widersprach allerdings Dr. Rheinländer von der HUK-COBURG: Die Teuerung betreffe keineswegs nur moderne Fahrzeuge, sondern auch solche, die bereits vor vielen Jahren in den Markt gebracht worden seien, erklärte der Versicherungsvorstand.

Einig waren sich die Experten beim Goslar Diskurs jedoch dahingehend, dass die Autoindustrie nicht geneigt sei, auf „angestammten Profit“ aus dem Reparatur- und Ersatzteilgeschäft zu verzichten. Dementsprechend machten die Hersteller auch gar keinen Hehl daraus, ihr Ersatzteil- und Werkstattgeschäft ausbauen zu wollen, merkte Branchenkenner Reinking an.

Kein Wunder also, dass all dies in letzter Konsequenz auf steigende Kosten für die Kraftfahrer hinausläuft. Autofahren werde insgesamt immer teurer werden, prognostizierte Prof. Bratzel. Diesen Trend befeuern demnach neben den immer höheren Reparaturkosten und dementsprechend steigenden Kfz-Versicherungsprämien ebenfalls weiter wachsende Umweltkosten, etwa das CO2 betreffend, sowie in der Folge hohe Treibstoffkosten. Zudem gehen die Preise für neue Automobile, speziell die der elektrisch angetriebenen, weiter in die Höhe. Alles in Allem könne dies dazu führen, dass sich breite Bevölkerungsschichten individuelle Mobilität nicht mehr leisten könnten, warnte Prof. Bratzel. Selbst für Bürger, die aus unterschiedlichen Gründen auf ein Auto angewiesen sind, könne ein solches langfristig möglicherweise nicht mehr bezahlbar werden, befürchteten die Experten beim diesjährigen Goslar Diskurs. Daraus sehen sie ein nicht zu unterschätzendes gesamtgesellschaftliches Problem erwachsen.

Big Data als Kostenbremse

Für eine gewisse Abhilfe hierbei soll die Nutzung jener Daten sorgen, die von modernen Fahrzeugen registriert werden, wie HUK-COBURG-Vorstand Dr. Rheinländer erklärte. Denn daraus werden demnach neue, zusätzliche Services erwachsen, die dem einzelnen Autofahrer zum persönlichen Vorteil gereichen. Als ein Beispiel für solche Innovationen auf der Basis von Mobilitätsdaten hob Dr. Rheinländer das Angebot von Telematik-Tarifen nach dem Prinzip „pay how you drive“ bei der HUK-COBURG hervor. Bei diesen Verträgen profitieren Versicherte, die umweltschonend und unfallvorbeugend fahren, von vergünstigten  Prämien. Dabei stellten die Telematik-Policen auch einen spürbaren Beitrag zu nachhaltiger Mobilität dar, betonte Dr. Rheinländer, weil sie ökologisches Verhalten beim Autofahren ebenso förderten wie Unfällen und somit Kosten entgegenwirkten.

Insgesamt sahen alle Experten beim diesjährigen Goslar Diskurs den Mobilitätssektor allgemein wie die Autobranche mit ihren angrenzenden Sparten im Besonderen in einem „tiefgreifenden Transformationsprozess“ befindlich. Dieser betrifft demnach sowohl die Ökologisierung der Mobilität als auch deren zukünftige Konzeption. Als treibende Kraft bei dieser Entwicklung kann sich demnach die Nutzung der „Big Data in der Mobilität“ erweisen, die das Goslar Institut bereits in zwei großen, von der HUK-COBURG geförderten Studien untersuchen ließ. Darin wurde deutlich, dass sich der Automarkt „von der Hardware zur Software“ entwickelt, dass datenbasierte Services immer relevanter werden. Und die sollen nicht nur mehr Komfort und die Befriedigung individueller Bedürfnisse ermöglichen, sondern auch Sicherheit fördern und Kosten senken helfen.

So könnten Big Data auch dazu beitragen, individuelle Mobilität für mehr Menschen erschwinglich zu erhalten, bekräftigten die Experten beim diesjährigen Goslar Diskurs.

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