Doch damit die gesamte Vielfalt an (Dienst-)Leistungen und Annehmlichkeiten, die auf Basis der Daten von Autofahrern denkbar sind, auch allen interessierten Verbrauchern nutzbar gemacht werden kann, müsste dieser „Datenschatz“ in einem fairen Wettbewerb möglichst vielen Marktteilnehmern zugänglich sein. Das machten die Experten beim aktuellen Goslar Diskurs der Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern, des Goslar Instituts, am 28. Januar 2021 deutlich. In diesem Jahr musste der Goslar Diskurs aufgrund der Corona-Pandemie als virtuelle Veranstaltung stattfinden. Er ist auf dieser Website zu verfolgen.
Freier und fairer Wettbewerb notwendig
Bislang jedoch beharren die Automobilhersteller, deren Produkte diese Daten generieren, auf der Hoheit darüber – obwohl es sich ja eigentlich um persönliche Informationen der Autofahrer handelt, die sowohl über die Nutzung ihrer Daten entscheiden können sollten wie auch über den Gegenwert dafür. So wie sie ihn beispielsweise bei der Telematik-Kfz-Versicherungspolice erhalten, welche etwa die HUK-COBURG anbietet. Bei diesem Produkt, das immer mehr Zuspruch bei den Kunden findet, werden Autofahrer für eine vorsichtige, defensive und umweltfreundliche Fahrweise mit Tarifrabatten belohnt. Daher kann die HUK-COBURG inzwischen schon mehr als 400.000 Telematik-Kunden vorweisen, von denen bereits mehr als 4 Milliarden gefahrene Kilometer registriert wurden, wie Dr. Jörg Rheinländer, Vorstandsmitglied der HUK-COBURG, beim Goslar Diskurs berichtete. Für den Telematik-Tarif erhebt Deutschlands Marktführer bei den Kfz-Versicherungen Daten zur Fahrweise des Kunden mit einem gesonderten Sensor im Auto.
Doch damit soll es nicht getan sein: Wie andere Mobilitätsanbieter auch, erweitere der Versicherer sein Geschäftsfeld und plane weitere günstige Mobilitätsservices, erläuterte Dr. Rheinländer. Dadurch soll eine ständig wachsende Palette neuer Dienstleistungen rund um die Mobilität entstehen, die den Konsumenten zugutekommen. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Autofahrer Herr seiner Daten ist, damit er selbst über die ihm angenehmen Mobilitätsangebote entscheiden kann, betonte Dr. Rheinländer. Deshalb fordert die HUK-COBURG, dass der Kunde in einem freien und fairen Wettbewerbsumfeld über seine Daten bestimmen können soll.
Autohersteller kochen ihr „eigenes Süppchen“
Bislang zögern die Autoproduzenten allerdings noch, Wettbewerbern Zugang zu dem Datenschatz der Kfz-Nutzer zu ermöglichen. „Die Autohersteller sind eher nicht gewillt, diese Daten mit anderen Anbietern zu teilen, sondern versuchen, ihr eigenes Süppchen zu kochen“, erklärte Automobil-Experte Guido Reinking beim Goslar Diskurs. Denn die Unternehmen wissen um den Wert der Daten. Aktuell gebe es etwa Diskussionen darüber, welche Daten als personenbezogen zu gelten haben und somit eigentlich dem Autofahrer gehören, und welche frei verwendbare technische Daten sind, berichtete Reinking. So sei ein aktuelles Streitthema, dass bei einem anstehenden Service oder einer notwendigen Reparatur derzeit von der Fahrzeugelektronik nur auf den Hersteller des Autos verwiesen wird. Dieser kann dem Kunden so direkt einen entsprechenden Termin anbieten. Was aber, wenn der Kunde nicht zu einer Marken-, sondern einer möglicherweise preiswerteren freien Werkstatt will? Deshalb müsse geklärt werden, wem solche Informationen gehören, wer sie erhalten und nutzen darf, stellte Reinking fest.
Wie der Kenner der Autobranche erläuterte, wird mittlerweile „einiges“ an Daten zwischen Auto und Hersteller hin- und hertransportiert. So können Besitzer moderner Fahrzeuge zum Beispiel mittels einer App erkennen, wo ihr Auto gerade steht, ob es richtig verschlossen und wie viel Sprit noch im Tank ist. Solche Helfer könnten noch erheblich ausgebaut werden, etwa wenn sich das Fahrzeug besser mit dem Handy des Fahrers synchronisieren lasse, um Routen zu planen, erläuterte Reinking. Dann wäre das Auto z. B. in der Lage, von sich aus Angebote zu machen, wo der Fahrer unterwegs am günstigsten tankt oder am besten eine Rast einlegt, wie es das Smartphone heute schon kann. Dafür benötigt ein Auto die Daten zur geplanten Tour. „Auf Basis solcher Informationen lassen sich also interessante Geschäftsmodelle entwickeln“, fasste der Auto-Experte zusammen.
Hohes Gut Datensicherheit
Dem stehen jedoch zurzeit nicht nur die Blockade-Position der Automobil-Industrie, sondern auch Bedenken der Verbraucher in Bezug auf die Sicherheit ihrer Daten im Weg. Datensicherheit ist ein ganz wichtiges Kriterium für Autofahrer, wenn es um die schöne neue Welt der Mobilität geht – das machen Studien wie die des Goslar Instituts zum Thema „Big Data“ immer wieder deutlich. Diese Untersuchung brachte allerdings auch ein nicht eindeutiges bzw. häufig widersprüchliches Verbraucherverhalten ans Licht: nämlich einerseits hohe Anforderungen an Datensicherheit bei einem andererseits häufig recht leichtfertigen Umgang mit eigenen persönlichen Daten.
Um aus diesem Paradox herauszukommen, könnten Treuhändermodelle ein probates Mittel sein, erklärte Prof. Dr. Susanne Knorre von der Hochschule Osnabrück. Denn ein Treuhänder könne Datensicherheit garantieren, aber auch, dass es einen fairen Zugang zu den Daten gebe. Außerdem ließen sich die betreffenden Daten über eine solche neutrale Zentralstelle für Zwecke nutzen, die jenseits rein individueller Vorteile liegen, argumentierte die Mit-Verfasserin der Studie „Die Big-Data-Debatte“: wie etwa für Gesundheit, Sicherheit, Klimaschutz. Denn nach ihrer Einschätzung sind viele Verbraucher durchaus bereit, ihre Daten – auch ohne Gegenleistung wie beim Telematik-Tarif – im Sinne von Anliegen des Allgemeinwohls an zertifizierte „Verwalter“ herauszugeben. Dabei gäbe eine Art Treuhänder mehr Vertrauen und Sicherheit, meint Prof. Knorre. Bei solchen hochakzeptierten Zielen bestehe eine große Bereitschaft, dafür eigene Daten zur Verfügung zu stellen, berichtete die Wissenschaftlerin. Da verliere Big Data dann einiges von seinem ansonsten verbreiteten Schrecken, meint sie.
Als mögliche Institutionen, welche für die Rolle eines Daten-Treuhänders infrage kommen, werden in den Diskussionen über dieses Thema vielfach die Prüforganisationen ins Spiel gebracht. Beim aktuellen Goslar Diskurs betonte Guido Kutschera, Vorsitzender der Geschäftsführung der DEKRA Automobil GmbH, dass sein Unternehmen wie auch die Prüfgesellschaften ein Datentreuhändermodell favorisieren, jedoch nicht selbst betreiben wollen. Ein solches Trustcenter müsse idealerweise von staatlicher Seite betrieben, mindestens jedoch kontrolliert werden, betonte Kutschera, damit der Kunde weiß, dass seine Daten in guten Händen sind. Die Zugriffsrechte auf dort abgespeicherte Daten für berechtigte Dritte müssen klar geregelt sein. Der DEKRA-Experte stellte darüber hinaus ebenfalls klar, dass den Prüforganisationen selbst ein diskriminierungsfreier, unabhängiger Zugang zu den sicherheits- und umweltrelevanten Fahrzeugdaten ermöglicht werden muss, damit sie ihrem hoheitlichen Prüfauftrag in Zukunft gerecht werden können. Für die Prüforganisationen stehe beim Treuhändermodell, wie auch für die Versicherungen, das Thema Verkehrssicherheit und Verbraucherschutz im Vordergrund, betonte der DEKRA-Geschäftsführer.
Unterschied zwischen sicherheitsrelevanten und wirtschaftlich relevanten Daten
Positiv zu einem möglichen Treuhändermodell äußerte sich auch HUK-COBURG-Vorstand Dr. Rheinländer. Er führte zudem an, dass bei diesem Thema zwischen zwei Bereichen zu unterscheiden sei: zwischen sicherheitsrelevanten und wirtschaftlich relevanten Daten. Höchste Anforderungen an Datensicherheit forderte Dr. Rheinländer für die sicherheitsrelevanten Daten. Vernetzte Fahrzeuge müssten sicher sein vor ungewünschter Datenübermittlung sowie vor Manipulationen. Bei den wirtschaftlich relevanten Daten wiederum müsse Wettbewerbsgleichheit für alle Teilnehmer am Mobilitätsmarkt sichergestellt werden, sagte Dr. Rheinländer. Nach seiner Meinung wäre es erfreulich, wenn ein Datentreuhänder käme, doch das sieht er noch nicht, wie er beim Goslar Diskurs erklärte. Losgelöst davon gelte es, in jedem Fall faire Regelungen für die wirtschaftlich relevanten Daten zu finden, damit hier keine Monopolstrukturen entstehen, postulierte er.
Für freien Zugang auf den „Datenschatz der Autofahrer“, um Innovationen zu ermöglichen, sprach sich beim Goslar Diskurs auch Prof. Dr. Ellen Enkel aus, die an der Universität Duisburg-Essen den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Mobilität innehat und das Institut für Mobility Transformation (MOTION) unterstützt. Nur bei einem nicht-eingeschränkten Wettbewerb um Mobilitätsdaten könnten auch andere Anbieter ganz neue kundenorientierte Services entwickeln, erklärte Prof. Enkel. Sie berichtete von einer aktuellen Konkurrenz zwischen Unternehmen, die eine Plattform anbieten wollen, auf der Mobilitätsdaten angeboten werden – allerdings gegen Bezahlung. Zurzeit werde an unterschiedlichen Modellen von Plattformen gearbeitet, erläuterte die Wissenschaftlerin. Dabei stelle die Bewertung der Daten ein wesentliches Problem dar.
Prof. Enkel ließ keinen Zweifel daran, dass die zukünftigen Geschäftsmodelle rund um Mobilität datenbasiert sein werden. Sie plädierte dafür, dass verschiedene Unternehmen und sogar Branchen gemeinsam Innovationen vorantreiben und neue Angebote entwickeln sollten. Die Automobilindustrie müsse sich viel stärker als Mobilitätsindustrie verstehen, die dem Kunden mehr biete als nur den Kauf eines Neuwagens, forderte die Expertin. Aus ihrer Sicht könnte es der Automobilindustrie mit digitalen Plattformen gelingen, den Kunden nicht nur das Angebot eines Herstellers zur Verfügung zu stellen, sondern auch die Mobilitätsangebote anderer Player als Produkte oder Dienstleistungen.
Autohersteller haben wichtige Trends verschlafen
Doch auch in dieser Hinsicht habe die klassische Autobranche in Deutschland einige Trends verschlafen, konstatierte der ehemalige Central Europe Director für das Europageschäft des US-Elektroautobauers Tesla, Jochen Rudat, der seit 2020 die Beratungsgesellschaft Muchbetterelectric betreibt. Bei der Monetarisierung von Daten machten neue Player das Rennen, sagte Rudat beim Goslar Diskurs, wie etwa die Startups, die sich mit Software und Robotik auskennen. In dem Bereich gebe es weltweit 150 Startups, die insgesamt mit rund 500 Milliarden Investments arbeiten könnten, berichtete der Experte. Diese neuen Player könnten hier viel fokussierter vorangehen als die klassischen Hersteller.
Allerdings dürfe man die deutschen Hersteller nicht über einen Kamm scheren, schränkte Rudat ein, denn einige seien schon weiter, während andere noch zurückhängen. Aber es gehe grundsätzlich in die richtige Richtung, stellte er der Branche ein durchwachsenes Zeugnis aus. Der Branchenkenner wies zudem darauf hin, dass die Beschwerden über Autohersteller meist von Datenschützern ausgingen und nicht von Kunden selbst. Daher könnte es aus seiner Sicht viel helfen, wenn die Autoindustrie von sich aus mehr Transparenz schaffen würde, etwa welche Daten erhoben, wofür verwendet und ob sie gespeichert werden. Da müssten die Autohersteller proaktiv auf die Kunden zugehen, appellierte Rudat an die Branche. Denn Studien hätten gezeigt, dass Kunden eher bereit seien, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn sie darüber informiert sind, was mit ihren Daten geschieht, hob auch er hervor. Zum Thema Treuhändermodell riet der Experte, sich neuen Technologien nicht zu verschließen, wie etwa der Blockchain-Technologie.
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