Das Geschehen dürfte den meisten Verkehrsteilnehmern hierzulande bekannt sein: Ein Auto fährt auf eine dreispurige Schnellstraße auf, begibt sich sofort auf die mittlere Spur und bleibt dort ohne Fahrzeuge auf der rechten Fahrbahn zu überholen. Stattdessen behindert der Fahrer andere, die schneller unterwegs sind bzw. sein wollen. Die Unsitte, bei Autobahnfahrten auf der Mittelspur zu „campieren“, trotz Rechtsfahrgebot und freier rechter Fahrbahn, scheint weit verbreitet und sich gefühlt weiter auszubreiten. Das nervt andere Autofahrer und verleitet diese oft dazu, die Lichthupe heftig einzusetzen, zu dicht aufzufahren oder gar rechts zu überholen, wenn die linke Spur gerade nicht frei ist – mit der Folge, dass sich diese Fahrer im schlechtesten Fall der Nötigung schuldig machen. Obwohl sie durch den „Mittelspurschleicher“ nach eigener Einschätzung dazu genötigt wurden.

Insofern provozieren die auf der mittleren Fahrbahn residierenden Kraftfahrer gewissermaßen Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Das ist gefährlich und kann riskante Situationen hervorrufen, insbesondere, wenn der auf der Mittelspur Fahrende sich zudem berufen fühlt, diejenigen, die an ihm vorbeiwollen, zu „disziplinieren“. Mittelspurfahrer gefährden somit die Sicherheit auf der Straße, warnen Verkehrspsychologen.

Doch damit nicht genug: Die Mittelspurfixierten bewirken durch ihre Fahrweise auf den Autobahnen ebenfalls, dass die zwei- oder dreispurige Strecke faktisch einspurig wird. Denn der Verkehrsfluss konzentriert sich infolgedessen auf den linken Fahrstreifen. Dadurch erhöhen sich sowohl Stau- als auch Unfallgefahr. Dabei sind sich die meisten dieser Autofahrer der Tragweite ihres Fahrverhaltens gar nicht bewusst, wie Fachleute wissen. Vielmehr handelt es sich um Fahrer, die unsicher und/oder bequem sind, die trotz freier rechter Spur ängstlich auf der mittleren Fahrbahn verharren. Viele solcher Fahrzeuglenker saßen auch längere Zeit nicht mehr am Steuer. Zudem sind viele Autobahnreisende auf der Mittelspur der irrigen Ansicht, die rechte Fahrspur sei ausschließlich LKW vorbehalten. Wie auch immer, diese Autofahrer behindern und gefährden den Verkehr – oft ohne sich darüber klar zu sein.

Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung zum Rechtsfahrgebot gerade auf Autobahnen nicht ganz eindeutig ist. Denn § 7 StVO stellt fest, dass auf Fahrbahnen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung Kraftfahrzeuge von dem Gebot möglichst weit rechts zu fahren abweichen dürfen, wenn die Verkehrsdichte das rechtfertigt. Dies besagt, dass nicht jede Lücke, die sich auf der rechten Fahrspur öffnet, auch genutzt werden muss. Vielmehr darf die mittlere Spur länger benutzt werden, wenn man häufig überholen muss. Somit gibt es für das Befahren von Autobahnen eine Ausnahmeregelung vom ansonsten geltenden Rechtsfahrgebot, die einigen Interpretationsspielraum eröffnet.

Die Straßenverkehrsordnung räumt demnach ein, auf dreispurigen Autobahnen die mittlere Spur „durchgängig“ zu befahren, wenn nur „hin und wieder“ rechts davon ein Fahrzeug fährt, das überholt werden soll. Das halten Verkehrsexperten jedoch nicht unbedingt für sinnvoll. So rät etwa der TÜV Nord dazu, trotzdem rechts zu fahren und nicht zu früh zum Überholen auszuscheren. Als Faustregel für die Ausnahme vom Rechtsfahrgebot auf dreispurigen Verkehrswegen gilt, dass die mittlere Spur zu räumen ist, wenn die rechte Spur vor dem nächsten Überholvorgang deutlich länger als 20 Sekunden befahren werden kann.

Abgesehen von dieser Ausnahmeregelung gilt für innerstädtischen Verkehr grundsätzlich das Rechtsfahrgebot. Allerdings dürfen Kraftfahrzeuge bis 3,5 Tonnen auf Fahrbahnen mit mehreren markierten Fahrstreifen für eine Richtung die Spur frei wählen, wie der ADAC erläutert. In diesem Fall ist es auch erlaubt, rechts schneller als links zu fahren. Dies gilt jedoch nicht für innerörtliche Autobahnen. Vom Rechtsfahrgebot kann außerdem abgewichen werden, wenn es die Verkehrsdichte rechtfertigt. Das Rechtsfahrgebot in Städten gilt übrigens auch in Einbahnstraßen und im Kreisverkehr.

Auf zweispurigen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften haben Fahrzeuge die rechte Spur zu benutzen und dort möglichst weit rechts zu fahren. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur, wenn es die Verkehrsdichte rechtfertigt. Bilden sich Fahrzeugschlangen, darf ebenfalls rechts überholt werden.

In allen Fällen gilt, dass wenn die mittlere Spur zu Unrecht befahren wird und man dadurch andere Autofahrende behindert, dieses Fahrverhalten mit 80 Euro und einem Punkt in Flensburg bestraft werden kann. Aus all den genannten Gründen sollte man sich daher überlegen, ob es wirklich so schlimm ist, öfter rechts zu fahren.

Hinweis: Ihre Redaktion RECHERCHE-TIPP legt eine kurze Weihnachtspause ein. Der nächste Tipp erscheint am Mi 04.01.23. Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir ein frohes Fest, geruhsame Tage „zwischen den Jahren“ sowie einen guten Start ins neue Jahr!

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