
Allerdings haben die obersten deutschen Richter in ihrem Urteil (Az. IV ZR 268/21) ebenfalls klargemacht, dass dieses „ewige Widerrufsrecht“ nicht unbegrenzt gilt. Demnach zieht nicht jeder kleine Fehler in einer Versicherungspolice automatisch ein Widerrufsrecht nach sich. Wenn also ein Versicherungsvertrag nur geringfügige Fehler in der Belehrung über das Widerrufsrecht aufweist und der Verbraucher erst Jahre später von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, kann dies als rechtsmissbräuchlich gelten, wie Anwälte erläutern. Sie begrüßen die jüngste Rechtsprechung des BGH als willkommene Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Widerspruch gegen Lebens- und Rentenversicherungen, die mehr Rechtssicherheit für Versicherer wie Versicherte schafft.
Unbegrenzte Widerrufsmöglichkeit?
Der Begriff des „ewigen Widerspruchsrechts“ kommt in der Versicherungswirtschaft hierzulande häufig zur Anwendung. Er definiert das Recht von Versicherungsnehmern, ihre Versicherungsverträge auch nach vielen Jahren noch zu widerrufen, besonders wenn sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht informiert wurden. Dieses Recht fußt auf den Bestimmungen des Vertragsversicherungsgesetzes (VVG), speziell dem § 5a VVG in seiner aktuellen Fassung. Danach kann privaten Kapitallebens- und Rentenversicherungen, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen wurden, auch heute noch widersprochen werden, wenn der Versicherer bei Vertragsabschluss nicht oder deutlich fehlerhaft über entsprechende Kundenrechte aufgeklärt hat, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) erläutert.
In dem Zusammenhang verweist der Verband auf die schon zuvor verbraucherfreundliche Rechtsprechung des BGH zum langwährenden Widerspruchsrecht. So entschied der Bundesgerichtshof bereits vor Jahren für Kapitallebens- und Rentenversicherungen, dass bei fehlerhafter Belehrung das Widerspruchsrecht der Kund:innen fortbestehe (Az. BGH IV ZR 76/11, Urteil vom 7. Mai 2014 und Az. BGH IV ZR 384/14, Urteil vom 29. Juli 2015). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte dieses zeitlich unbegrenzte Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht (Az. C-209/12).
Allerdings, und das heben sowohl der EuGH als auch der BGH hervor: Der Fehler in der Widerrufsbelehrung muss gravierend sein. Der Europäische Gerichtshof bezieht sich dabei auf Fälle, in denen der Versicherer gar nicht informierte oder derart unrichtig belehrte, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen wurde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wie der Vzbv erläutert.
„Widerspruchsjoker“ sticht nicht immer
Der BGH wiederum entschied jüngst ebenfalls, dass das „ewige Widerrufsrecht“ nicht unbegrenzt gilt. Wenn der Informationsfehler nur geringfügig sei und der Verbraucher sich bewusst war, dass er einen Vertrag abschließt, könne ein Widerruf nach vielen Jahren unzulässig sein, erklärt Rechtsanwalt Wolfgang Benedikt-Jansen auf Anwalt.de. Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bei sehr späten Widersprüchen stehe im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH, stellt der Jurist fest. Sein Fazit: Der „Widerspruchsjoker“ funktioniert nicht immer. Denn wenn ein Versicherungsvertrag nur kleine Fehler in der Belehrung über das Widerrufsrecht aufweist und der Verbraucher erst Jahre später von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, kann dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, so Benedikt-Jansen.
Er betont, dass der BGH nun klargestellt hat, dass das Widerrufsrecht nicht uneingeschränkt gilt. Verbraucher sollten sich daher gut beraten lassen, bevor sie einen alten Versicherungsvertrag widerrufen, da nicht jeder vermeintliche Fehler in der Police zum Erfolg führt, empfiehlt der Anwalt. Den Grund für die Einschränkung des BGH sieht er darin, dass die obersten deutschen Richter verhindern wollen, dass Verbraucher Jahre nach Vertragsabschluss plötzlich alte Verträge widerrufen und Versicherungen damit in Schwierigkeiten bringen.
In dem Zusammenhang ergibt sich auch die grundsätzliche Frage, welche Überlegungen hinter dem Konzept des „ewigen Widerspruchsrechts“ stecken. In erster Linie geht es dabei um den Schutz von Verbrauchern. Konkret bedeutet dies im Fall von Lebens- und Rentenversicherungen: Werden Versicherungsnehmer nicht wie vorgeschrieben über ihre Rechte belehrt, sollen sie nicht an Entscheidungen gebunden sein, die sie möglicherweise anders getroffen hätten, wenn sie vollständig informiert worden wären.
Auch der Vzbv legt betroffenen Verbrauchern nahe, sich von einem Anwalt oder den Verbraucherzentralen individuell beraten zu lassen, wenn Sie einen Widerspruch in Betracht ziehen. Verträge, denen man „unendlich lange“ widersprechen kann, sind demnach solche, die zwischen dem 29. Juli 1994 und Ende 2007 abgeschlossen wurden – vorausgesetzt allerdings, es liegt eine fehlende oder deutlich fehlerhafte Belehrung vor. Die normalerweise bestehende Frist von 14 oder 30 Tagen werde in diesen Fällen nicht in Gang gesetzt, stellen die Verbraucherberater fest. Ein späterer Widerspruch kann demnach auch bei unzureichender Belehrung unter strengen Voraussetzungen als treuwidrig und damit unzulässig beurteilt werden. Als entscheidend hierbei gilt, wie gravierend der Fehler der Belehrung ist.
Links
- https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/weitere-versicherungen/recht-auf-ewigen-widerspruch-bei-lebens-und-rentenversicherungen-12958
- https://www.db-anwaelte.de/versicherungsrecht/lebensversicherung/bgh-urteil/
- https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jpr-NLVR000003824&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fservices%2Fnews%2Fnews-detail.jsp
- https://www.versicherungsrechtsiegen.de/ewiger-widerspruch-bei-lebensversicherungen-grenzen-bei-treuwidrigem-verhalten/
- https://www.anwalt.de/rechtstipps/bgh-schraenkt-ewigen-widerruf-ein-232216.html
- https://www.anwalt.de/rechtstipps/widerspruchsrecht-des-versicherungsnehmers-nach-5a-vvg-a-f-auch-im-antragsmodell-213211.html