Bundesregierung plant Einschränkung des Widerrufsrechts bei Versicherungsverträgen

Worum geht es dabei konkret? Das BMJV will das sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ einschränken. Denn dies führe häufig zu unbilligen Ergebnissen, wenn ein Belehrungsfehler völlig nebensächlich sei, argumentiert das Ministerium, das auch für den Verbraucherschutz zuständig ist. Doch davon könne in diesem speziellen Fall keine Rede sein, meinen die Nicht-Regierungs-Verbraucherschützer des BdV. Sie sehen – im Gegenteil – durch die Beschränkung des „ewigen Widerrufsrechts“ wichtige Verbraucherrechte beschnitten.

Bislang konnten Versicherungsnehmer nämlich noch nach Jahren etwa eine Lebensversicherung kündigen, wenn die Versicherungsgesellschaft sie nicht hinreichend über ihr Widerrufsrecht informiert hatte. Als Voraussetzung dafür genügten schon geringfügig fehlerhafte Formulierungen. Somit waren die Versicherer bislang dazu angehalten, penibel auf die Einhaltung ihrer Informationspflichten zu achten, stellt der BdV fest. Denn solange die Versicherten nicht richtig informiert waren, begann die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Mit der Konsequenz, dass sich Verträge mit einem Widerruf auch noch Jahre später ohne Kostennachteile beenden ließen. Da insbesondere die Auflösung eines Lebensversicherungsvertrages erhebliche Kostennachteile bedeute, sei das eine attraktive Vertragsoption, befindet der BdV.

BGH: „Ewig“ heißt nicht unbegrenzt

Doch der Bundesgerichtshof (BGH) schränkte das sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ schon 2024 ein, mit der Begründung, dass dieses „ewige Widerrufsrecht“ nicht unbegrenzt gelte. Denn wenn ein Informationsfehler nur geringfügig sei und der Verbraucher sich bewusst war, dass er einen Vertrag abschließt, könne ein Widerruf nach vielen Jahren unzulässig sein, erläutert Rechtsanwalt Wolfgang Benedikt-Jansen das BGH-Urteil auf „anwalt.de“. Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bei sehr späten Widersprüchen stehe auch im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), fährt der Jurist fort. Der „Widerspruchsjoker“ steche somit nicht, wenn ein Versicherungsvertrag nur kleine Fehler in der Belehrung über das Widerrufsrecht aufweise und der Verbraucher erst Jahre später von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch mache, verdeutlicht Benedikt-Jansen. Dann könne dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Nun soll das „ewige Widerspruchsrecht“ also auch per Gesetz eingeschränkt werden. Dazu sieht der Referentenentwurf des BMJV Folgendes vor: Künftig soll ein Vertrag über Finanzdienstleistungen höchstens 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss widerrufen werden können – vorausgesetzt, die Verbraucherin oder der Verbraucher wurde über das Widerrufsrecht belehrt. Bei Lebensversicherungen soll eine Ausschlussfrist von 24 Monaten und 30 Tagen gelten. Ein Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Informationspflichten soll demnach nicht mehr dazu führen, dass die Widerrufsfrist – wie bisher – nicht zu laufen beginnt, konstatiert der BdV. Und bemängelt an dieser Stelle gleich, dass der Gesetzentwurf keine Unterscheidung zwischen wichtigen und eher nebensächlichen Informationen treffe.

„Unbillige“ Folgen geringfügiger Fehler

Nach geltendem Recht führten auch nebensächliche Verstöße gegen gesetzlich vorgeschriebene Informationspflichten dazu, dass die gesetzliche Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht zu laufen beginne, schreibt das BMJV weiter. Dieses sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ führe jedoch häufig zu unbilligen Ergebnissen, wenn ein Belehrungsfehler völlig nebensächlich war, begründet das Ministerium die von ihm geplante Einschränkung.

„Die bisherige Regelung zum Widerrufsrecht war einfach und konsequent. Jetzt zieht der Gesetzgeber weichgekocht vom ewigen Lamenti der Versicherer und der Justiz dem Verbraucherschutz den Stecker“, kritisiert BdV-Vorstand Stephen Rehmke. Künftig blieben somit selbst gravierende Verstöße gegen Informationspflichten nahezu folgenlos, mahnt er. Stelle ein Verbraucher zu spät fest, dass Angaben seines Versicherers nicht stimmen, könne der Versicherte nur noch mit hohen Verlusten aus einem mängelbelasteten Lebensversicherungsvertrag aussteigen, bringt der Verbrauchervertreter die Folgen des BMJV-Gesetzentwurfs auf den Punkt.

In seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Änderung des Verbrauchervertrags- und Versicherungsvertragsrechts räumt der BdV ein, dass das fortdauernde Widerrufsrecht oft aus Gründen genutzt werde, die wenig mit der mangelhaften Erfüllung der Belehrungs- oder Informationspflichten zu tun hätten. Doch dieses Recht stelle oft eine Möglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher dar, „sich von auf andere Art nachteiligen bzw. benachteiligenden, langfristig ausgelegten Verträgen auf wirtschaftlich verträgliche Weise zu lösen“, erklärt der Verbraucherschutzverein. Als Beispiele hierfür zählt er auf: prohibitiv wirkende Vorfälligkeitsentgelte bei Immobiliarkrediten zu umgehen oder sich vor den schädlichen Folgen hoher Kosten bei vorzeitigen Kündigungen eines Lebensversicherungsvertrages zu schützen oder sich von mangelhaften Autos zu trennen, bei denen die Kaufrechte schon verjährt sind. „Diese Verbraucherprobleme bleiben bestehen und finden mit der angedachten Widerrufsbeschränkung zugunsten der Finanzwirtschaft keine Lösung mehr“, bemängelt der BdV.

„Information overload“

Darüber hinaus wird es aus seiner Sicht mit dem Gesetzentwurf Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich schwerer gemacht, ihre Widerrufsrechte bei Versicherungsverträgen zu verstehen. Denn der Gesetzgeber habe das Muster für eine Widerrufsbelehrung, das die Versicherer als vermeintlich rechtssichere Variante verwenden sollen, mittlerweile auf mehr als 2.500 Wörter anwachsen lassen, kritisiert der Verband. Als wenig hilfreich bewertet der BdV auch eine Belehrung, die detailreich beschreibe, wie Verbraucherinnen und Verbraucher selbst prüfen können, ob ihnen auch alle notwendigen Vertragsinformationen gegeben wurden. Anstatt den europarechtlichen Vorgaben einer „klaren, verständlichen und eindeutigen“ Information gerecht zu werden, entstehe so ein unübersichtlicher Text, der Verbraucherinnen und Verbraucher überfordere, stellt der Versicherten-Bund fest.

„Ein solcher ‚information overload‘ ist ein beliebtes Mittel der Desinformation. Ein Verbraucher bekommt den Eindruck, dass der kleingedruckte und von Rechtsbegriffen durchtränkte Text nur für Vertragsjuristen da ist, aber kein zentrales Verbraucherrecht beschreibt“, bemängelt BdV-Vorstand Rehmke. So verkomme das Widerrufsrecht zur leeren Hülle, meint er. Deshalb fordert der BdV, das Widerrufsrecht nicht einzuschränken, sondern konsequent an seinem Schutzzweck auszurichten.

Links

Den Recherche-Tipp jeden Mittwoch als E-Mail

Hinweise zum Datenschutz: Bei der Anmeldung werden verschiedene personenbezogene Daten erhoben. Personenbezogene Daten sind Daten, mit denen Sie persönlich identifiziert werden können. Die Datenschutzerklärung erläutert, welche Daten wir erheben und wofür wir sie nutzen. Sie erläutert auch, wie und zu welchem Zweck das geschieht. Die Austragung aus unseren Verteilern ist jederzeit mit einer formlosen E-Mail an info@goslar-institut.de möglich.