Einstieg von Rechtsschutzversicherern in direkte Rechtsberatung gestoppt?

In Deutschland dürfen Nicht-Anwälte sich nicht an Kanzleien beteiligen. Dies regelt das sogenannte Fremdbesitzverbot. Dieses Verbot ist nach dem aktuellen Urteil der Luxemburger EuGH-Richter europarechtskonform. Es ist demnach gerechtfertigt, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Somit darf ein EU-Mitgliedstaat, wie es hierzulande der Fall ist, die Beteiligung von Finanzinvestoren am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft verbieten. Wobei der EuGH allerdings auf „reine Finanzinvestoren“ abhebt.

Die Absicht deutscher Rechtsschutzversicherer, selbst in der Rechtsberatung tätig zu werden, untermauerte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Ende 2022 mit den Ergebnissen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Verbandes zu den Erwartungen der Verbraucher. Demnach wünschen sich diese mehrheitlich „einen leichten und schnellen Zugang zum Recht“ sowie bei der Lösung von rechtlichen Problemen „eine direkte rechtliche Beratung und eine außergerichtliche Vertretung auch durch juristische Mitarbeiter ihres Versicherers“. Konkret gaben dabei knapp 80 Prozent der Befragten an, dass auch eine direkte rechtliche Beratung und außergerichtliche Vertretung beim Kontakt mit dem Versicherer durch dessen Mitarbeiter/-innen eine wichtige Option darstelle.

GDV bedauert Verbot der direkten Rechtsberatung durch Versicherer

Doch eine direkte Rechtsberatung durch Versicherer sei in Deutschland bislang verboten, bedauerte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Er forderte daher „im Interesse unserer Kunden“ eine entsprechende Anpassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes. Der Blick ins benachbarte Ausland, etwa in die Niederlande oder die Schweiz, zeige, dass dies den Zugang zum Recht erleichtern könne, argumentierte Asmussen.

Im Rahmen einer Umfrage des Bundesjustizministeriums (BMJ) zu möglichen Lockerungen des Fremdbesitzverbots in der deutschen Anwaltschaft wies der GDV in einer Stellungnahme als Argument für eine Änderung dieser Einschränkung zudem darauf hin, dass die Anwaltschaft sich in einem von der Digitalisierung getriebenen strukturellen Umbruch befinde. Im Zuge dessen hätten sich viele Lebensbereiche der Rechtssuchenden und auch ihre Erwartungen an Rechtsdienstleistungen verändert und würden sich weiter verändern, stellt der GDV fest. Der Rechtsmarkt der Zukunft bringe daher grundlegende Veränderungen in Bezug auf Mandatsakquise, Mandantenerwartungen, Kommunikationsanforderungen und Mandatsbearbeitung mit sich, heißt es weiter. Diese veränderten Rahmenbedingungen stellten die Kanzleien vor nicht unerhebliche Herausforderungen, die Kompetenzen, Know-how und Kapital erforderten. Über eine Beteiligung Dritter könnten Kanzleien in die Lage versetzt werden, diesen Herausforderungen (besser) gerecht zu werden, erklärt der GDV in seinem Positionspapier.

Ablehnung bei Anwälten/Anwältinnen

In der Anwaltschaft ergab die Umfrage des BMJ im vergangenen Jahr hingegen, dass 63 Prozent der Teilnehmenden eine Lockerung des Fremdbesitzverbots generell ablehnen und es für das Geschäftsmodell von 28 Prozent der Teilnehmenden keiner Lockerung bedarf. Für 80 Prozent der Befragungsteilnehmer kommt die Aufnahme reiner Kapitalgeber demnach von vornherein nicht in Betracht. Und 73 Prozent der Befragten sehen mögliche Gefahren, die sich auch durch gesetzliche Vorgaben nicht hinreichend eindämmen lassen. Die Auswertung von Freitextangaben der Umfrage bestätigte laut BMJ dieses Ergebnis.

Und nun das EuGH-Urteil, das für Klarheit bei dem umstrittenen Thema Fremdbesitz sorgen soll. Doch aus Sicht von Daniel Halmer, der den Prozess provoziert hatte, um die Rechtsfrage klären zu lassen, lässt das EuGH-Urteil noch etliche wichtige Fragen offen, wie der Versicherungsmonitor berichtet. So etwa die zur Verhältnismäßigkeit und zu der Formulierung „reine Finanzinvestoren“, denen eine Beteiligung an einer Kanzlei vom Gesetzgeber untersagt werden kann. Dieser Begriff sei im gesamten Prozess nicht gefallen, zitiert der Branchendienst Halmer und sein Rechtsanwalt Dirk Uwer. Die deutsche Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft hatte beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof gegen einen Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 9. November 2021 geklagt, mit dem ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen wurde, nachdem eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Geschäftsanteile an ihr zu rein finanziellen Zwecken erworben hatte.

Möglicher negativer Einfluss von Investoren

Die Argumentation des Gerichts bezieht sich dabei auf das Agieren von Finanzinvestoren: Ein solcher Investor wolle möglichst viel Gewinn aus seiner Beteiligung ziehen, meinen die EuGH-Richter. Dies könne sich negativ auf die Kanzlei auswirken. Wäre er mit der Rendite unzufrieden, könnte er zum Beispiel fordern, dass die Kanzlei ihre Kosten senkt oder nur noch Fälle annimmt, die besonders aussichtsreich sind. Die Beurteilung des deutschen Gesetzgebers, ein Finanzinvestor könne die Unabhängigkeit der Berufsausübungsgesellschaft beeinträchtigen, sei somit „legitim“, sodass ein Verbot von Fremdkapital diese als möglich angesehene Beeinflussung effektiv abwehre.

Jedoch sehen sich die Rechtsschutzversicherer nicht als „reine Investoren“. Entsprechend betonte auch der GDV in seiner Stellungnahme im Rahmen der BMJ-Umfrage zu möglichen Lockerungen des Fremdbesitzverbots, dass die Rechtsschutzversicherer nicht wie reine Kapitalinvestoren aufträten. Es sei ihr Leistungsversprechen, den Kunden den Zugang zum Recht zu ermöglichen – auch in wirtschaftlich weniger attraktiven Fällen oder in Regionen, in denen es wenige Anwälte gebe, argumentiert der Branchenverband.

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