Die Juristen, Verkehrsexperten und Ärzte beim diesjährigen VGT in Goslar bezweifelten grundsätzlich, ob Patienten, die Cannabis auf Rezept einnehmen, fahrtüchtig sind. Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten, begründe eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung, stellte der mit diesem Thema befasste Arbeitskreis V des VGT in Goslar fest. Demnach sollte aus Gründen der Verkehrssicherheit die Fahreignung von Cannabis-Patienten überprüft werden.

Gerade unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit erscheint es den Fachleuten nämlich unerheblich, ob das Cannabis aus medizinischen Gründen oder nur zum Spaß bzw. „zur Entspannung“ konsumiert wurde. Die benebelnde Wirkung sei die gleiche, heißt es. Die Experten sehen daher auch keinen Grund – und keine Berechtigung – warum Cannabis-Konsumenten aus medizinischen Gründen einem „normalen Kiffer“ im Hinblick auf die Fahrerlaubnis vorgezogen werden sollten. Letztere müssen nämlich bislang ihren Führerschein gleich abgeben, wenn sie beim Fahren unter Cannabiseinfluss von der Polizei erwischt werden – unabhängig davon, ob bei der Fahrt etwas passiert ist oder nicht. Zudem wird ihnen bereits beim ersten Delikt dieser Art von den Behörden automatisch die charakterliche Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen abgesprochen. Somit droht diesen Cannabis-„Sündern“ auch gleich eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), der sogenannte Idiotentest.

Dagegen sind keine Sanktionen zu befürchten, wenn Cannabis aus der „bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag feststellte. Auch das Straßenverkehrsrecht macht eine Ausnahme für Cannabis-Patienten: Sie müssen weder eine Klage wegen Fahrens unter Drogeneinfluss fürchten noch eine Geldbuße, ein Fahrverbot oder Punkte in der Flensburger „Verkehrssünderkartei“, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“. Dieses sogenannte Medikamentenprivileg sieht der Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vor. Dieser Paragraf legt ebenfalls die Strafen für Alkohol am Steuer fest und beschreibt, dass auch ordnungswidrig handelt, wer eine anderweitige berauschende Substanz im Körper hat und ein Fahrzeug führt. Im letzteren Fall ist es demnach unerheblich, ob bei dem Betreffenden Ausfallerscheinungen festgestellt werden. Ein Verstoß liegt vor, sofern ausreichend „THC“ im Blut nachgewiesen wird.

Für diesen wichtigsten Cannabiswirkstoff (THC – Tetrahydrocannabinol) hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 in einem Grundsatzurteil einen Grenzwert von einem Nanogramm je Milliliter (1 ng/ml) Blut festgelegt. Der psychoaktive Wirkstoff gehört zu den sogenannten Cannabinoiden, jenen Inhaltsstoffen der Hanfpflanze, die für die schmerzlindernden und krampflösenden Eigenschaften des Hanfs, aber auch die berauschende Wirkung verantwortlich sind. Den bisherigen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Blutserum kritisierte der Verkehrsgerichtstag ebenfalls als zu niedrig. Stattdessen plädierte der VGT für 3 ng/ml als Grenzwert. Begründung: Ab diesem Wert könne das fehlende „Trennungsvermögen“ zwischen Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr unterstellt werden.

Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hält eine unterschiedliche Fahreignungsbetrachtung zwischen Alkoholkonsum und Cannabiskonsum für nicht nachvollziehbar, wie Rechtsanwalt Christian Janeczek für die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV betont. Ebenso nicht nachvollziehbar sei, warum die Verwaltungsgerichte nicht dem von der Grenzwertkommission bereits Ende des Jahres 2015 empfohlenen Richtwert von einer THC-Konzentration von 3 ng/ml im Blutserum folgen, meint der Jurist. Er verweist gleichfalls auf die Auffassung der Grenzwertkommission, dass ab dann, von einer Trennung von privatem Konsum und der Tauglichkeit am Straßenverkehr teilzunehmen, nicht mehr gesprochen werden könne. Für die Verkehrssicherheit komme es jedoch allein darauf an, ob der Betroffene zwischen Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr trennen könne, argumentiert der DAV.

Auch wenn Cannabis nun zu den „verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln“ gehört, die Frage nach der Fahreignung und Fahrsicherheit von Cannabis-Patienten bleibt umstritten. Im Interesse der Verkehrssicherheit sollten diese Patienten jedoch auf jeden Fall von qualifizierten Ärzten über die mit Cannabis verbundenen, möglichen Beeinträchtigungen beim Führen eines Kraftfahrzeugs aufgeklärt werden, forderte der Verkehrsgerichtstag.

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